Superb! Königstour 2010

 

Fremder Osten

 

6000 km, 9 Länder, 4 Motorräder, 3 Wochen, 1 Abenteuer.

 

Das eigentliche Abenteuer begann schon Wochen zuvor. Die Visa für Weissrussland zu erhalten ist etwas komplizierter als vieles andere. Mit Hilfe der Botschaftsmitarbeiter ging es dann aber reibungslos. Ein lustiges und spannendes Vortreffen mit den abenteuerlustigen Teilnehmern und schon ist Freitagmittag.

 

Ich kontrolliere kurz ob alles richtig auf meinem Töff verzurrt ist und dann biegen Tom auf seiner Guzzi und ich auf meiner treuen Suzi auf die Dosen-Bahn ein, um Hans und seine Aprilia an der Silberkugel zu treffen. Eine langweilige und rasche Fahrt später, sind wir im Thurgau bei Iris. Freundlich lädt Sie uns zu Kaffee und Kuchen ein. Ihre Honda steht mit Tankrucksack, Topcase und Seesack geduldig vor der Tür. Endlich ist es soweit und die Reise beginnt. Am Bodensee entlang surfen wir vier nach Feldkirch (A). Es erwarten uns motivierte Mitarbeiter der ÖBB, die unsere Töffs fachmännisch am Wagon, der die nächste Nacht auch andere Biker und Autos beherbergt, festschnüren. Unter den Augen der Fahrer ist das kein einfacher Job, weil schliesslich jeder am besten weiss, wie sein Töff behandelt werden soll. Wir geniessen entspannt und trotzdem zügig, ein einfaches Nachtessen im Bahnhofbuffett und verdauen während einer unruhigen Fahrt durch eine schwarze und regnerische Nacht.

 

Regnerisch empfängt uns leider auch der Zielbahnhof in Wien. Also rein in die Plastikhäute und kurz checken, ob auch alles Empfindliche wasserdicht untergebracht ist. An der ersten Kreuzung stirb meine Suzi und lässt sich, trotz intensivem Anlassergebrauch nicht mehr zum Leben erwecken. Nur ruhig bleiben und logisch denken: Killschalter? Häkchen! Benzinhahn? Häk… ach Du liebes bisschen! Weil ich normalerweise den Hahn immer auf Durchfluss stehen lasse, mit Ausnahme von gestern Abend, hat meine Suzi schon auf der ersten Kreuzung Mühe frei durch den Vergaser zu atmen. Etwas scheu und dank Vollvisierhelm, unsichtbar hochrotem Kopf, drehe ich den Hahn unter der Bank eine Vierteldrehung und ab da schnurrt meine Suzi anstandslos die nächsten 6000 Kilometer. Vorsichtig tasten wir uns aus Wien heraus und sind schon bald auf der Strasse, die uns Richtung Ungarn bringt. Uns stehen keine Zöllner zwischen Österreich und Ungarn im Weg. Nur der Regen zeigt sich hartnäckig und begleitet uns bis kurz vor Budapest. Dann scheint die Sonne und zeigt uns wie es hätte sein können…. Als es abzutrocknen beginnt, zeigen sich an Parkplätzen und Feldwegen auch junge Prostituierte, die die Vorbeifahrenden in aufreizender und knapper Kleidung einladen, ein paar kurze Minuten bei und mit ihnen zu verbringen. Armut kann sich in unterschiedlicher Form zeigen und wir begegnen ihr auf unserer Reise nicht das letzte Mal! In Budapest verfahren wir uns kurz, aber nachdem alles im Hotel fein säuberlich zum Trocknen aufgehängt ist, erkunden wir einen kleinen Teil der Altstadt von Buda und noch etwas weniger von Pest und stellen fest: Budapest ist der Hammer!! Ein üppiges Nachtessen in einem Restaurant am Strassenrand versöhnt uns mit dem Tag und mit einem Spaziergang über die Ketten- und Elisabethenbrücke und entlang der Donau, lädt uns die Millionenstadt Budapest ein, sie ein weiteres Mal zu besuchen.

 

Der nächste Tag begrüsst uns freundlich und heiter. Nachdem wir uns am Frühstücksbuffett für den Tag gestärkt haben, betten wir unsere Hintern auf die Sättel und machen uns auf den Weg nach Oradea, eine Stadt kurz hinter der Grenze zu Rumänien. Das Land wird flacher und der Horizont entfernt sich immer weiter. Die Flüsse und Bäche die wir auf Brücken queren, fliessen träger und müder dahin als bis anhin. Ganz anders der Verkehr auf den Strassen. Der bleibt hektisch und lehrt uns, dass wir enorm aufpassen müssen um nicht im Strassengraben zu landen. Mehr als einmal wird die Geschwindigkeit eines unserer Töff’s falsch eingeschätzt und das Überholmanöver abgeschlossen indem das Auto unseren Platz beansprucht. Ein theoretisches, physikalisches Gesetz bewahrheitet sich recht stark in der Praxis: Wo etwas ist kann nichts Anderes sein. Wir schalten also um auf vorausschauendes und defensives Fahren und versuchen nicht jedes Mal wütend auf der Hupe zu turnen, wenn sich ein Autolenker wieder gründlich verschätzt hat. Die Grenze zu Rumänien passieren wir ohne anzuhalten und sind schon kurze Zeit später in Oradea. Eine Umleitung und ein störrischer Gesetzeshüter zwingen uns in den schmucken Stadtkern, doch schon eine halbe Stunde später stehen wir unter einer erfrischenden Dusche.

 

In der Nähe unseres Hotels essen wir gemütlich zu Abend. Bald steht an unserem Tisch am Flussufer ein schmutziger Junge von vielleicht 14 Jahren und fragt erwartungsvoll, ob er etwas zu essen haben dürfte. Wir fragen unseren Kellner was wir tun sollen. Der gibt uns zur Antwort: “Nichts!“. Wir entschliessen uns, dem jungen Mann, der partout kein Geld will, eine Pizza und ein Getränk auf unsere Rechnung zu bestellen. Der Kellner schüttelt sanft und wissend den Kopf und als der Teen die Pizza und das Mineralwasser freudestrahlend in den Händen hält, sich bedankt und zufrieden von dannen zieht, wissen wir tief in uns, dass wir richtig gehandelt haben. Ein ereignisreicher Tag verliert sich in der Nacht und wir vier sind dankbar für unsere weichen Betten und die sanft summende Klimaanlage.

 

Ein reichhaltiges Frühstück, mit reichlich Kaffee lockt uns aus einem erholsamen Schlaf. Die Hotelbelegschaft teilt mit uns gut gemeinte Ratschläge, Tipps und Grüsse und kurz danach sitzen wir wieder im Sattel und fahren stetig Richtung Osten. Die Landschaft bleibt bucklig und lieblich. Die Häuser die uns am Strassenrand begleiten, werden zunehmend rustikaler und Ross und Wagen sind nun häufige Verkehrsteilnehmer. In Ghindari, einem Dorf kurz vor Sovata, machen wir Halt und beschliessen, hier zu übernachten. Eine einfache Unterkunft, mit Mehrbettzimmern und Duschen mit warmem Wasser, ist ein Luxus den wir sehr geniessen. Ein Abendessen mit gebratenen Würsten, Kartoffeln, Brot und viel Gemüse in allen Variationen macht uns richtig satt.

 

Trotzdem langen wir beim Frühstück am nächsten Morgen wieder tüchtig zu. Eine lange Etappe liegt vor uns. Die Karpaten und die Grenze zu Moldawien werden uns fordern. Treu spulen unsere Töffs Kilometer um Kilometer und endlich verwöhnen uns auch wieder Kurven auf der Tour. Die Strasse ist wellig und voller Löcher, aber sie begleitet uns durch tiefe Schluchten, dunkle Wälder und entlang malerischer Seen. Einige Tage vor unserem Besuch, müssen wütende Wasser Brücken unterspült und Strassen weggerissen haben. An Schräglagen wagen wir uns nur dezent. Überall liegt Sand auf dem Teer und wir versuchen, uns sicher durch die Karpaten zu schlängeln. Wir sind nicht die einzigen, die sich einen Besuch dieses wunderschönen Fleckens Erde auf ihre To-Do-Liste geschrieben haben. Und auch mir wird gleich bewusst, hier war ich nicht das letzte Mal.

 

Wir lassen Felsen, Schluchten und Wälder hinter uns und finden uns in einer hügeligen Ebene wieder. Zu Beginn begleiten uns noch saftige und grüne Wiesen und Äcker mit aufgebrochener, schwerer, dunkler Erde. Dürr, staubig und trocken wird das Land, je näher die Grenze Moldawiens rückt. Eine kurze Zeit begleitet uns eine klapprige Harley mit rumänischen Nummerschildern, gezähmt durch ein glückliches Pärchen das halbnackt, die warmen Strahlen der versinkenden Sonne geniesst. Bleibt nur zu hoffen, dass die Tätowierungen der Dame auf dem Sozius nicht bald durch Schleifen auf dem rauen Asphalt entfernt werden. Die ungleiche Gemeinschaft durch uns vorbildlich gekleidete und im eigenen Saft garenden Westlern und der Belegschaft der Harley währt nur kurz. Minuten später flitzen die ersten Schilder welche die Grenze zu Moldawien anzeigen, an unseren Visieren vorbei.

 

Wie sich ein Zollübertritt an der Grenze zwischen zwei Ländern des ehemaligen Ostblocks gestaltet, würde einen eigenen Abenteuerroman füllen. Manchmal war’s richtig lustig, teilweise auch ärgerlich, ein-, zweimal auch mit ungläubigem Kopfschütteln verbunden, aber immer verging sehr viel Zeit und unser reicher Vorrat an Geduld wurde von Grenze zu Grenze kleiner. Ein erstes zaghaftes Nachfragen per Handy von unserem Guides, der hinter dem Zoll geduldig auf uns wartet, beruhigt uns alle zutiefst. Er ist auf alle Fälle da und wir müssen die Fahrt nach Chisinau, der Kapitale Moldawiens, nicht alleine in einem langsam finster werdenden Tag unter die Räder nehmen.

 

Ein wunderschönes Abendrot begleitet uns nach Moldawien hinein. Die kurze Begrüssung mit Andrej unserem Leader, der unser ruhender Pol in den folgenden Tagen sein wird, und Sergej unserem Übersetzer, ist herzlich und fröhlich. Doch die aufziehende Nacht mahnt uns rasch aufzubrechen und wir fahren auf einem griffigen Asphaltband in Richtung Hauptstadt und in die pechschwarze Nacht hinein. Chisinau empfängt uns lebhaft und mit einem Gewusel an Verkehr. Mal vorsichtig, mal frech versuchen wir die Rücklichter von Andrej‘s Auto nicht aus den Augen zu verlieren und kurze Zeit später treffen wir in unserem Zuhause für die nächsten vier Tage ein. Die Duschen sind toll erfrischend, wir können nur kalt oder saukalt einstellen. Da das Quecksilber uns in den nächsten Tagen mit mehr als vierzig Grad quälen wird, sind wir sehr dankbar, überhaupt den Vorzug von fliessendem Wasser geniessen zu können. Die Betten, welche die vornehme Aufgabe haben, uns durch traumlose Nächte zu begleiten, ächzen und quietschen bei jeder Bewegung. Aber egal, Hauptsache wir erholen uns in einer Stellung die massiv anders aussieht als sitzend.

 

Die Tage in Chisinau servieren uns eine Besichtigung der Stadt, die im Zentrum auch sehr Sehenswertes zu bieten hat. Vier Tage in und rund um Chisinau vergehen wie im Flug und reich an Infos und einer grossen Beute an Fotos fahren wir auf einer Hauptstrasse in den Norden von Moldawien mit Ziel Balti. Unterwegs schalten wir einen Halt ein und besuchen das Felsenkloster von Orhei. In einem weiten, runden Tal steht eine Kirche auf einem Felsen der so löchrig ist, wie ein Emmentaler AOC. In diesen Höhlen lebten früher Mönche. Heute sind sie leer und dienen seltenen Touristen als lohnenswertes Ausflugsziel.

 

Eine Stunde später beziehen wir schon unser Zuhause in Balti. Die nassgeschwitzten Klamotten sind rasch ausgezogen und zum Trocknen aufgehängt und endlich wieder empfängt uns eine Dusche mit warmem Wasser. Welch ein Genuss! Auch das Nachtessen ist ein üppiges Gedicht. Tags darauf sind wir schon wieder unterwegs, on the Road und konzentrieren uns auf die Löcher der Strasse, die uns in die Ukraine bringen soll. In einem unbekannten Dorf springt mir ein struppiger Hund ins Vorderrad und bleibt liegen. In der Hoffnung, dass sich die Dorfbevölkerung seiner erbarmt oder der nächste LKW den Rest übernimmt, fahren wir mit klammen Herzen weiter. Was hätten wir den auch tun sollen? Andrej beruhigt mich in der nächsten Pause. Da wartet kein Mädchen mit Tränen in den Augen auf ihren liebsten, treuen Freund. Das sind streunende Hunde und auch er hat vor rund zwei Wochen einen Vierbeiner in den Hundehimmel gesendet. Das ist Moldawien!

 

Die Grenze in die Ukraine empfängt uns sehr rustikal. Die freundlichen Zöllner knien sich voll rein, um die Einreiseformalitäten so rasch als möglich hinter sich zu bringen. Vor jedem Töff gehen sie andächtig in die Knie, um Rahmen- und Motornummer mit den Inhalten der Fahrzeugausweise abzugleichen. Ziel dieser Übungen ist, die Nummern mit Listen von gestohlenen Fahrzeugen zu vergleichen. Wir entpuppen uns, als mit blütenreiner Weste um Einlass Begehrende und mit der diplomatischen Übersetzungskunst von Andrej, rollen unsere Bikes langsam über den Grenzfluss Dnjestr und wir sind in der Ukraine.

 

Eine kurze Pause später sitzen wir schon wieder in den Sätteln unserer Stahlrösser und geben ihnen fleissig die Sporen. Es warten noch lange Geraden durch eine topfebene Landschaft auf uns. Kiew, die riesige Hauptstadt der Ukraine, heisst uns sehr geschäftig willkommen. Wir Töffler werden im aggressiven Strassenverkehr das Gefühl nicht los, als Freiwild zu gelten. Dankbar geniessen wir deshalb, dass die Besuche der Sehenswürdigkeiten der Stadt am nächsten Tag mit einem Kleinbus angefahren werden. Und derer offenbaren sich viele. Ein absolutes Muss ist der Besuch des Tschernobyl- Museums. Die Lavra, ein grosses, sehenswertes Ensemble der orthodoxen Kirche, entführt uns in den Untergrund. Dort liegen haufenweise Leichname von Mönchen und Heiligen, die wohl kaum ihre letzte Ruhe finden, weil der riesige Besucherstrom nicht abreissen will. Hoffentlich muss während unserem Besuch niemand lauthals husten. Denn wenn hier unten, in dieser Enge und mit dieser Menge Gläubiger, eine Panik ausbricht, kann man gleich neue Höhlen für frische Leichen buddeln. Der Tag vergeht und mit müden Beinen und reich an Eindrücken einer faszinierenden, pulsierenden Stadt, fallen wir bald in einen tiefen Schlaf.

 

Der Morgen begrüsst uns mit einer leichten Bewölkung. Als wir uns aus der Ukraine verabschieden wollen, fesselt uns Kiew mit einem ausgewachsenen Stau etwas länger als beabsichtigt und obwohl wir heute nur eine kurze Etappe fahren, queren wir erst spätabends die Grenze zu Weissrussland. Die Zollformalitäten gestalten sich, trotz freundlicher Beamten als schwierig.

 

Das Hotel Turist in Gomel hat in Sachen Komfort schon fast zu westlichen Standards aufgeschlossen und bei den Preisen die Levels sogar massiv übertroffen. Der frühmorgendliche Kontrollblick aus dem Fenster verrät uns, dass die Regenkombis heute nicht zuunterst im Gepäck verstaut werden sollten. Ein trüber und stark bewölkter Morgen begrüsst uns. Die Strassen sind nass und wir zirkeln wie auf Eiern um Ecken und Kurven. Heute besuchen wir einen Motorradclub. Der Kontakt ist uns nicht einfach in den Schoss gefallen. Die „Night Wolves“ hatten etliche Vorurteile von uns Westlern, die es zu korrigieren galt. Ich hoffe es gelang uns plausibel zu erklären, dass wir keine Schläger und Alkis sind und ganz bestimmt nichts mit Drogen am Hut haben. Beeindruckt von den Clublokalitäten und noch mehr von der Arbeit der „Wölfe“ mit Jugendlichen, denen sie voll motiviert den gekonnten Umgang mit Motorrädern beibringen, verabschieden wir uns und hüllen uns wieder in unserer Regenhäute.

 

Uns erwartet eine lange und langweilige Fahrt auf exzellenten Strassen nach Mogiljow, eine Stadt im Osten von Weissrussland, ganz nah an der russischen Grenze. Die Strasse liegt wie mit dem Lineal gezogen vor uns. Links und rechts in den grünen Wäldern stehen Schilder, die auf den gefährlichen Genuss von Pilzen und Beeren hinweisen. Die Wälder sollten wir also besser nicht betreten, auf der Strasse fahren dürfen wir aber. Tschernobyl wirft seine Schatten noch weit in die Zukunft. Wie aus dem nichts steht ein Strassenschild am rechten Rand und warnt uns vor einer gefährlichen Kurve. Unsere Münder werden wässerig und wir stellen uns auf fast waagrechte Schräglagen ein. Ein kleiner Zupfer am Lenker zeigt uns, dass Kurven in Weissrussland einen anderen Stellenwert geniessen als in der Pässe-Nation Schweiz. Dafür verwöhnt uns Weissrussland mit zunehmend schönem und warmem, sonnigem Wetter. Die fruchtbare Landschaft zieht an uns vorbei und lässt uns weit in die Ferne blicken.

 

Einige grüne Wälder, saftige Wiesen und idyllische Wasser später, begrüsst uns Mogiljow. Eine Stadt, die sich weltoffen und aufgeschlossen zeigt. Viele moderne Gebäude säumen die breiten Strassen und weisen uns den Weg zu unserem Hotel. Das zeigt sich von innen etwas weniger modern, aber absolut bewohnbar. Den Abend lassen wir mit Pizza ausklingen und sinken bald darauf müde in unsere Betten.

 

Der Morgen begrüsst uns freundlich und nicht zu warm. Ein kurzes Frühstück macht uns satt und schon verlassen wir Mogiljow auf der Strasse die uns nach Minsk bringen soll. Die Sonne erobert den Tag und es wird richtig warm. Das graue Asphaltband unter unseren Rädern ist in einem griffigen und hervorragenden Zustand, nirgends geflickt und keine Bitumenstreifen die etwas Fahrstabilität kosten würden. Wir könnten problemlos kräftig am Quirl drehen und die Fahrzeit enorm verkürzen, wenn uns der Gegenverkehr nicht alle paar Kilometer mit der Lichthupe nervös vor einer Verkehrskontrolle warnen würde. Wir entschliessen uns gleich nach der Brücke über die Beresina links abzubiegen und geniessen am Ufer des für uns Schweizer so schicksalhaften Flusses ein üppiges Picknick bei reichlich Sonnenschein. Es reicht sogar um sich im Fluss eine erfrischende Fusswäsche zu gönnen.

 

Minsk erwartet uns, wie es sich für eine Metropole und Millionenstadt gehört. Gewusel auf den Strassen, verhaltene Hektik auf den Gehsteigen, geduldiges Warten auf die ÖV‘s und wir mittendrin. Unbestritten sind wir eine Attraktion für viele Minsker Auto- und Busfahrer, die uns freundlich grüssen und gerne ein paar Worte mit uns wechseln möchten. Das entpuppt sich als nicht einfach, da wir Russisch nicht in unserem Repertoire führen und durch den Helm auch die nonverbale Kommunikation von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Unser temporäres Zuhause in einer Bibelschule, zeigt sich eingebettet in viel Grün und ist wohnlich, gemütlich und komfortabel.

 

In Minsk besuchen wir ein Museum, das uns bedrückend über das Ghetto im zweiten Weltkrieg informiert. Schier Unglaubliches hat sich zu der Zeit abgespielt. Das „Loch von Minsk“ besuchen wir gleich darauf und es legt ein immer noch beklemmendes Zeugnis ab. Ein ungefähr fünfzehn Meter tiefes, kreisrundes Loch das rund achtzig Meter im Durchmesser misst. Stehst Du auf dem gepflasterten Boden mit dem Wissen, dass unter Deinen Fusssohlen zweitausendfünfhundert Leichen liegen, ist das ein haarsträubendes Ereignis, das lange nagt und aus den Erinnerungen in meinem Kopf nicht mehr zu verbannen ist. Ein kleiner Trost ist das Nachtessen im Restaurant „Westfalia“. Zum einen, weil jede Bedienung fliessend Deutsch spricht und die Karte mit Ziffern und Buchstaben gestaltet wurde, die wir dank unserer Schulbildung und der unendlichen Geduld unserer Pädagogen ohne Probleme lesen können, zum anderen, weil das Essen und die Bedienung auf hohem Niveau liegen und wir uns während unseres Besuchs sehr wohl fühlen. Kurz, das „Westfalia“ erweist sich als einen längeren Besuch wert.

 

Bald mahnt uns die Grossstadt, dass auch hier der Tag der Abreise schon hinter der nächsten Nacht liegt. Minsk verabschiedet uns an einem frühen Morgen weinend. Der strömende Regen zwingt uns in die Regenkleider und wir tasten uns ganz vorsichtig auf die Ringautobahn die uns Richtung Brest, den Grenzübergang an der polnischen Grenze, bringen soll. Ein sanfter Umfaller von Tom mit der Guzzi und eine fast unsichtbare Schramme an einem Auto lassen mein Herz in die Hosen rutschen. Ich sehe uns schon als Dauergäste bei Polizei und Behörden. Doch ein kurzes Augenrollen des Autofahrers entlässt uns aus dem Dilemma und wir hocken schon wieder in den Sätteln und finden tatsächlich die richtige Ausfahrt nach Brest.

 

Die gut ausgebaute Strasse lässt sich recht zügig befahren. Noch zügiger unterwegs sind Russen auf Ihren GS-BMWs. Ein freundliches Grüssen mit der Linken und sie tauchen in die stiebenden Gischt eines LKWs. Langsam beginnt sich das Wetter zu bessern und recht schnell trocknet die Strasse ab. Nach einem komplizierten Prozedere an einer Tankstelle, um unsere Benzinreservoirs zu füllen, schälen wir uns endlich aus den Regenhüllen und geniessen bis an die Grenze zu Polen einen trockenen Fahrtwind. Wir reihen uns zuhinterst in die Schlange ein und haben schon bald die ersten, scheuen Kontakte mit anderen Grenzgängern. In einem Stau, so die landläufige Meinung, sind alle gleich. Weit gefehlt. Sascha, ein Weissrusse, der ebenfalls die Vorzüge der Fortbewegung mit Motorrad kennt, scheucht uns der Kolonne entlang bis zum Grenzhäuschen. „Motorräder dürfen das“, meint er in holprigem Englisch und mit einem schelmischen Lächeln. Und tatsächlich begrüssen uns die Uniformierten ganz freundlich. Hier trennen sich die Wege von Sascha und uns, weil wir als Schweizer zum Schengenraum gehören und durch eine andere Vorgehensweise durch die Zollformalitäten geschleust werden als Sascha und die GUS-Angehörigen.

 

Unglaublich welche Last wir verlieren, allein durch die Tatsache, wieder in der EU zu sein. Ein starkes Gewitter entlädt sich über uns und wir tasten uns auf klatschnassen Strassen und in ebensolchen Klamotten vorsichtig bis nach Lublin. Ein langer und anstrengender Tag verlangt nach einem würdigen Abschluss. Wir finden uns im hoteleigenen Restaurant ein und nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem jungen Kellner kriegt jeder fast seine Bestellung und dies erst noch fast pünktlich. Uns ist es Wurst. Nach einem kühlen Blonden kann uns nichts mehr erschüttern. Die Nacht beschert uns einen erholsamen Schlaf. In den frühen Morgenstunden prasselt ein starker Regen durchs Blätterwerk der Buchen, die vor dem Hotel gepflanzt sind und lässt nichts Gutes für die folgende Tagesetappe erahnen. Ein üppiges und gesundes Frühstück hebt unsere Laune jedoch merklich und als das ganze Gepäck wieder auf- und angeschnallt ist, reisst die Wolkendecke auf und eine strahlende Sonne begrüsst uns. Tapfer kämpft das Tagesgestirn gegen den grauen Mief und gewinnt langsam die Oberhand. Uns soll es recht sein.

 

Zügig durchqueren wir Polen und wollen in Krakau noch einen Kaffeehalt auf dem Rathausplatz geniessen. Unzählige und zermürbende Staus mahnen uns dann doch zur Eile. Ohne Kontrolle überqueren wir bald darauf die Grenze zu Tschechien und stellen unsere treuen Motorräder bei einbrechender Nacht in Brünn, vor unserem Dreisterne Hotel auf die Hauptständer und gönnen ihnen eine erholsame Nachtruhe. Und uns auch. Der nächste Tag begleitet uns bis weit nach Österreich hinein und endlich, endlich begegnen uns auch wieder Kurven, die es lohnt, in Schräglage zu fahren. Welch ein Genuss! Eine Übernachtung später weckt uns der neue Tag mit mieser Laune. Grau, nass und kühl ist nicht das was wir uns zum carven wünschen. Der Regen entpuppt sich nun als hartnäckiger Begleiter und wir einigen uns, so rasch als möglich nach Hause zu fahren. Es fühlt sich an, als ob wir an einem unsichtbaren Seil Richtung Heimat gezogen werden. Und keiner stemmt sich merklich dagegen. Mit im Gepäck sind Erinnerungen an atemberaubende Landstriche, herzliche Menschen und die Gewissheit, eine eindrückliche Reise auf einem idealen Reisemittel in unbekannte Länder gewagt zu haben. Oder wie sagte Tom doch einmal? „Das ist ein richtiges Abenteuer!“ Recht hat er!

 

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